Am Anfang soll eine These stehen: In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich das Ringen um die globale Macht intensiveren und entscheiden. Auf diesen Kampf, das Wort mag heute nicht mehr opportun sein und doch bleibt es stetig passend, ist der Westen, im Besonderen Europa, nur ungenügend vorbereitet.
Auf dem Spiel stehen daher nicht nur Macht, Einfluss, Marktanteile oder der Wohlstand der westlichen Gesellschaften, sondern auch deren politischen Systeme, Wertvorstellungen, Ordnungen und damit letztendlich den Begriff von Freiheit, wie wir ihn heute kennen.
Doch die Geschichte ist noch nicht geschrieben und noch bleibt, wenngleich auch wenig Zeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken oder aber zumindest die Konsequenzen abzumildern. Dafür jedoch ist es unabdingbar, die zentralen Herausforderungen der nächsten Jahren zu kennen, sie zu verinnerlichen und als das zu begreifen was sie sind: Zusammenhängende, sich bedingende Entwicklungen, die einer großen Lösung bedürfen und keine singulären Geschehnisse, die sich mit veralteten Konzepten der Vergangenheit bewältigen lassen.
Die größten Herausforderungen lassen sich unter dem Begriff des Zeitenwandels zusammenfassen, unter dem man einen zeitlichen Abschnitt versteht, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können.
Diese Elemente sind wie folgt zu identifizieren:
1.) Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten
Die Verschiebung der globalen Wirtschaftskraft, der in der Regel auch immer eine des politischen und militärischen Einflusses sowie des Wohlstandes folgen, sind bereits heute unübersehbar.
Ob China an dieser Stelle als Herausforderer oder bereits als Platzhirsch identifiziert werden kann, sei an dieser Stelle dem Leser überlassen. Die Strategie „Made in China 2025“ ist allerdings langfristiger, genauer bis 2049, dem 100. Geburtstag der Volksrepublik, angelegt und die Chance die Ziele, wie beispielsweise die Dominanz in den 10 wichtigsten Schlüsselindustrien zu erreichen, ist keineswegs unrealistisch.
Auch, wenn der Westen die Natur des gelenkten Kapitalismus chinesischer Prägung nicht verstehen möchte, so hat er doch das Potential seinem westlichen Pendant am Ende zu dominieren. Dieses sollte vor allem von jenen bedacht werden, welche die Chancen überbetonen, aber die Risiken und vor allem die Folgen einer devoten Haltung, gerne verschweigen. Kurzfristiger Gewinn ist an dieser Stelle oft wichtiger als ein langfristiges Gleichgewicht..
Auch die Hoffnung auf eine politische Krise im Land der Mitte ist eine letztendlich unbegründete und das europäisch geprägte Hong-Kong wird nie eine Blaupause für die chinesische Mentalität sein, die letztendlich ganz andere Wurzeln hat als der westliche Individualismus. Die chinesische Interpretation von Freiheit und Harmonie, basierend auf Konfuzianismus, Taoismus und angereichert mit Legalismus, Buddhismus und Mohismus ist mit dem, aus westlicher Sicht autoritärem politischen System, grundsätzlich vereinbar und das auch in all ihren scheinbaren Widersprüchen.
Die westliche Interpretation ist daher augenscheinlich keine universale, sondern eine spezifische, die sich, allen lautstarken Beteuerungen zum Trotze, keinesfalls global durchsetzen muss, sondern auch vollkommen scheitern könnte. Diese Erkenntnis mag bitter sein und doch ist sie in aller Ehrlichkeit zu benennen. China ist erfolgreich und das ist anzuerkennen. Allein die Tatsache, dass es dem Land der Mitte gelang die Armut, beispielsweise galten im Jahr 1981 noch 88% der Chinesen nach gängigen Indizes als extrem arm, heute sind es gerade einmal noch ca. 1%., massiv zu reduzieren, spricht für sich. Nein, die Rahmenbedingungen des Erfolgs sind nicht universal. Das mag schwer zu akzeptieren sein, aber es ist eine Realität, der es sich zu stellen gilt.
Neben China hat auch Indien das Potential zur wirtschaftlichen Weltmacht und wird unter normalen Umständen, hinter China und den USA, zur drittstärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen. Was dieses für die politischen Ambitionen des Landes bedeuten wird, ist heute noch nicht absehbar.
Generell könnte die Zukunft asiatisch werden. Der Westen muss aus seiner Lethargie erwachen und erkennen, dass das Ende der Geschichte noch nicht gekommen ist, sondern wir stets an deren Anfang stehen. Der Kampf um die Zukunft, und dieser Satz ist nicht etwas apokalyptisch, sondern rational zu deuten, steht unmittelbar bevor und es wird nicht nur einer um Einfluss, Marktanteile und Wohlstand sein, sondern auch einer um Lebensweisen und Freiheit.
2) Die Schwäche der westlichen Welt
Während der Aufstieg der asiatischen Staaten unübersehbar ist, erfährt der Westen zeitgleich einen stillen Niedergang, der allerdings noch nicht als ein solcher wahrgenommen wird. Dass Europa davon stärker betroffen ist, als Nordamerika sei am Rande erwähnt.
Betrachtet man daher die Geschehnisse genauer, so sind die Zeichen und Indikatoren unübersehbar:
Nicht nur, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Westens, in manchen Ländern mehr, in anderen weniger, gelitten hat, kann teilweise bereits von einer technologischen Rückständigkeit gesprochen werden, die sich oft auch in einer veralteten Infrastruktur zeigt. An dieser Wettbewerbsfähigkeit hängen aber am Ende nicht nur der Einfluss oder Wohlstand einer Gesellschaft, sondern konkret auch der des einzelnen Menschen.
Ob man manch böser Stimme, die von einem teilweise strukturellen Zustand des Westens wie in der einstigen Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1985 sprechen, nun lauschen sollte, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Ein gewisser Stau auf fast allen Ebenen ist jedoch schwer zu leugnen. Morsch, verkrustet – nicht überall und doch zu oft. Gemütliche Läufer werden überholt, irgendwann überrundet und irgendwann ist der Anschluss verloren.
Zugleich zerfallen die einst so stabilen Gesellschaften und als Folge erleiden auch die politischen Systeme schwere Beschädigungen. Zwar ist dieser Zerfall der Gesellschaften ein globales Phänomen, das in ähnlichen Mustern in allen Ländern beobachtet werden kann, allerdings hat der Westen bislang keine relevanten Lösungsansätze für die fortschreitende Erosion der Lebenswirklichkeiten. Er versteht sie oft nicht einmal und nicht selten benutzt man obsolete Muster des 19. oder 20. Jahrhunderts, um die Welt im 21. Jahrhundert zu erklären. Das Schöne dabei: In diesen alten Erklärungen spielt die komplizierte Moderne keine Rolle und kann problemlos, zugunsten einer eingegrenzten Scheinwelt in der man sich dann Scheinproblemen widmet, ausgeblendet werden.
Doch wir leben im 21. Jahrhundert und in diesem Erodieren die Gesellschaften nun einmal völlig unabhängig davon, wie sehr das runde Klötzchen auch in das eckige Lock gedrückt wird.
Der rasante Zeitenwandel hat diesen Zerfall dynamisiert und die einst so klaren, wenigen Lebenswirklichkeiten werden, getrieben durch Reizgesellschaft und Verhaltenskapitalismus, immer weiter zerfallen.
Auch der Mensch ist in Teilen nicht mehr der Gleiche wie in der schönen alten Zeit. Längst ist ein neuer entstanden: Der Homo stimulus, jenen Reizmenschen, der an eine hochfrequentierte Konfrontation mit schnellen Stimuli, die teilweise tief bis in das innerste Selbst vordringen, nicht nur gewöhnt ist, sondern sie auch aktiv einfordert und anstößt.
Ob die Milieus weiter zerfallen werden? Ja, das werden sie und doch wird es keine totale Individualisierung geben, da einzelne Lebenswirklichkeiten durch Verteilungs- und Identitätsfragen bestehen bleiben oder Interessenskoalitionen mit anderen bilden werden. Mal passiv ertragend, mal aktiv fordernd. Mit Gestaltungswillen und ohne. Ohne diese Identitäts- und Verteilungsfragen wäre eine totale Individualisierung denkbar, so aber wird es sich um parallele Entwicklungen handeln: Individualisierung und Milieukämpfe nebeneinander.
Willkommen im Zeitalter des kollektiven Individualismus!
Das allerdings wird den Westen noch weiter schwächen und es besteht die reale Gefahr, dass Freiheit und Demokratie am Ende verloren gehen, wenn nicht ein sofortiges Umdenken einsetzt und sie auch nicht wiedergewonnen werden können, weil man wirtschaftlich, technologisch, politisch und strukturell nach außen schlicht abgehängt wurde.
3.) Der Umgang mit dem technologischen Fortschritt
In vielen Bereichen stehen wir vor großen technologischen Durchbrüchen, die im Ringen um die Vorherrschaft und das Schicksal der Welt eine wesentliche Rolle spielen werden.
Wer diese Technologien beherrscht und auch erfolgreich in Produkte manifestieren kann, hält am Ende den Schlüssel für wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Macht in seinen Händen. Wer von der Entwicklung allerdings entkoppelt wird, muss mit schwindendem Wohlstand, ökonomischen Problemen, gesellschaftlichen Spannungen und zunehmender globaler Einflusslosigkeit rechnen. Nein, das Ende der Geschichte wurde noch nicht erreicht. Man kann diesen Satz nicht oft genug wiederholen und sollte es ebenso oft tun, wie er in den letzten Jahrzehnten beschworen wurde.
Dass eine technologische Entwicklung, neben den großen Chancen, auch Risiken in sich trägt, gehört zur Natur der Sache. Diesen Herausforderungen muss sich allerdings auch der größte Konkurrent des Westens stellen, nur hat China an dieser Stelle bereits seine Antworten gefunden:
Massive Investitionen in die wichtigsten Schlüsselindustrien. Ausbau der Infrastruktur. Sicherung von Rohstoffen. Ein gelenkter Kapitalismus, in dem der Verhaltenskapitalismus den staatlichen Zielen unterworfen wird. Durch Kontrolle der Reize, die den Homo stimulus erst geschaffen haben. Die Schaffung eines sozialen Kreditsystems, das im Einklang mit der Mentalität der Bevölkerung, wohlgemerkt der chinesischen, aber nicht der westlichen, steht.
Das Land der Mitte hat einen Plan und die Kompetenz diesen zu verwirklichen. Nein, diese Lösungen für die Herausforderungen des Zeitalters des kollektiven Individualismus mögen nicht mit unserer Vorstellung von Demokratie und Freiheit vereinbar sein und dennoch sind es Strategien, die funktionieren können.
Und so steht der Westen am Ende einer Macht gegenüber, die bereits Antworten gefunden hat, während hierzulande noch nach den Fragen gesucht wird.
4.) Die Veränderung der Umweltbedingungen
Die Umwelt wird, wie zu allen Zeiten, ein wesentlicher Faktor bleiben. Mit dem Klimawandel hat ein zentrales Phänomen der Veränderung seinen Weg in das öffentliche Bewusstsein gefunden und doch müssen wir auch über einen kommenden Kampf um Rohstoffe für die Produkte der neuen Technologien reden. Über neue Verteilungskämpfe und Ausbeutung. Über die stetig aktuellen Phänomene der Umweltzerstörung und Ausbeutung. Über eine wachsende Weltbevölkerung, die mehr und mehr Bedarf an einfach allem haben wird. Über Plastikmüll. Artensterben. Verschmutzung, Verödung, Entsorgung oder Wasserknappheit.
Oder ganz einfach nur, was passieren wird, wenn die kommenden Weltmächte China und Indien mit ihren fast 3 Milliarden Menschen flächendeckend einen ähnlichen Lebensstandard erreichen möchte, wie ihn der Westen heute hat.
Selbst dieses Feld ist daher weitaus größer und verbietet eine Ausrichtung auf ein einziges Thema, so wichtig es denn auch erscheinen mag, denn es darf nicht blind für die Zusammenhänge machen.
Wir befinden uns in Mitten eines Zeitenwandels und der definiert sich durch das dynamisierte Zusammenwirken mehrerer Kräfte, die das Potential haben, die globale Macht, den Einfluss und den Wohlstand nachhaltig zu verschieben.
Eine oder mehrere davon auszublenden würde letztendlich dazu führen, sich selbst zu schwächen und damit auch in dem Themenbereich, in dem die Schwerpunkte gesetzt wurden, zu scheitern, kein Element darf unbeachtet bleiben.
5.) Fehlende Perspektiven für einen Teil der Weltbevölkerung
Der größte Teil der seriösen Studien geht von einem massiven Wachstum der Weltbevölkerung aus. Dieses wird zur weiteren Urbanisierung, ein bislang oft unerwähnter Megatrend der Zeit, und teilweise auch zur Migration führen.
Diese kann aus der Not herausgeschehen. Aufgrund des Klimawandels oder auch nur, auf der Suche nach einem besseren Leben: Es spielt keine Rolle, denn Migration wird ein Thema des Jahrhunderts werden.
Da die Gesellschaften auch in den Entwicklungsländern zerfallen, fallen alte Bindungskräfte weg. Zugleich sind Verhaltenskapitalismus und der Homo stimulus kein westliches Phänomen, sondern ein globales und in einer vernetzten Welt erscheinen, profan ausgedrückt, Perspektiven im Internet. Das Ziel der Migrationsbewegungen wird am Ende weniger Asien sein und dafür umso mehr Europa und die USA.
Doch sollten wir zugleich die Herkunftsländer nicht aus den Augen verlieren, denn ihre Stabilität und der westliche Anteil daran ist für die Zukunft ebenfalls entscheidend, denn, wenn ein Modell nicht erfolgreich ist, werden sie sich womöglich einem anderen zuwenden.
Was bleibt?
In der Summe ist es sinnvoll, den Zeitenwandel als das zu begreifen, was er ist: Eine Bündelung von dynamischen Kräften, die unsere bisherige Art und Weise zu leben nicht nur in Frage stellt, sondern auch langfristig verändern kann. Was gestern erfolgreich war, muss es morgen nicht mehr sein. Gleich, wie man es auch suggerieren mag, ist die Verteilung von Macht, Einfluss und Wohlstand nicht zementiert, sondern wird gerade mehr denn je in Frage gestellt. Der Westen ist dabei kein mild lächelnder Zuschauer, wenn sich diese Haltung auch immer noch allgemeiner Beliebtheit erfreut, sondern einer der Spieler, der zu verlieren droht.
Es wäre daher an der Zeit, dem entgegenzuwirken. Jedoch nicht, um die eigene Vorherrschaft zu sichern. Nein, das wäre viel zu wenig, sondern vielmehr, um den Zeitenwandel zu benutzen, um eine neue, bessere und gerechtere Welt voller Freiheit und Wohlstand für alle Menschen zu schaffen.
Was wie eine Utopie klingen mag, kann mit Hilfe des Modells der Alternativen Hegemonie (AH-Modell) Wirklichkeit werden, denn mit diesem wäre es möglich, den westlichen Kapitalismus in eine Wertemarktwirtschaft umzuwandeln, bei der Werte zum relevanten Produktionsfaktor für die Gewinnmaximierung aufsteigen und so einen Schild für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte bilden und verbreiten, aber auch Wohlstand, technologische Führerschaft und wirtschaftliche Blüte, dauerhaft sichern können.
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