- Die Corona-Pandemie wird zu erheblichen wirtschaftlichen Einschnitten führen sowie Systeme und Ordnungen weiter destabilisieren
- Covid-19 ist lediglich ein Dynamisierungsfaktor in einer Periode des globalen Zeitenwandels
- Bestehende Systeme und Ordnungen werden daher weiter in Frage gestellt werden
- Die Folgen des Zeitenwandels könnten mit dem Wertekapitalismus abgemildert werden
- Mit Hilfe der Wertemarktwirtschaft lässt sich die Welt krisenfester, stabiler und auch gerechter gestalten
Ein Virus beherrscht die Welt. Vielleicht lässt sich der bisherige Verlauf des Jahres 2020 mit diesem kurzen Satz treffend zusammenfassen, denn seit dem das A-Virus H1N1, heute besser bekannt als „Spanische Grippe“, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es keiner infektiösen organischen Struktur mehr, direkt oder indirekt, auf eine solch tiefgehende Art und Weise in das Leben so vieler einzugreifen.[1]
Sämtliche Systeme stehen nun vor einer extremen Belastungsprobe. Manche werden diese besser bestehen, andere wiederum zerrbrechen. Die Weltwirtschaft wird, soweit das im Moment bereits absehbar ist, im besten Fall leicht schrumpfen, in den schlimmsten Konstellationen stehen globale wirtschaftliche Verwerfungen bevor, die für weitaus größere Einschnitte sorgen können als die Finanzkrise 2008. Exakte Prognosen sind schwierig, klüger ist es an dieser Stelle mit Wahrscheinlichkeiten und Szenarien zu arbeiten.
Covid-19 ist nur ein Teil von unaufhaltsamen globalen Veränderungen
Die Folgen der Pandemie sind allerdings nur ein Aspekt von vielen. Bereits vor dem Ausbruch war eine Zeit des Umbruches verifizierbar, in der es mannigfaltige, sich gegenseitig beeinflussende Entwicklungen gab. Diese können mit dem Begriff „Zeitenwandel“ zusammengefasst werden, unter dem man einen zeitlichen Abschnitt versteht, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können. Diese Elemente wären: [2]
- Der Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z.B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, [3] Homo stimulus,[4] Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen)
- Den Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z.B. asiatische Staaten)
- Der Schwäche der westlichen Welt (z.B. durch Instabilität, Milieukämpfe, erodierende Milieus, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen, Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder den politischen Aufstieg Chinas/Asiens)
- Die Veränderung der Umweltbedingungen (z.B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung)
- Fehlende Perspektiven eines Teils der Menschheit (z.B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse)
Covid-19 drängt die Wahrnehmung dieser Entwicklungen nun in den Hintergrund, was aber nichts daran ändert, dass sie auch weiter kontinuierlich ihre Wirkung entfalten werden. Eine Pandemie, die in dem Risikomodell bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, wird an dieser Stelle zu einem starken Dynamisierungsfaktor. Sie ist ein Brandbeschleuniger, aber kein Auslöser. Die Welt befindet sich bereits in einem Zeitenwandel, er wird in der Folgezeit nur deutlicher hervortreten, bestehende Ordnungen und Systeme weiter destabilisieren und die Frage nach Möglichkeiten der Wiedergewinnung der Kontrolle oder gar nach Alternativen aufwerfen. Veränderungen sind daher unaufhaltsam, es stellt sich nur die Frage, ob wir aktiv gestalten oder passiv hinnehmen werden. Das Schiff befindet sich mitten im reißenden Fluss und es liegt an uns, ob wir das Steuer ergreifen oder uns treiben lassen.
Das Unabwendbare selbst gestalten
Die Corona-Pandemie ist daher keine Chance, denn bei einem solch einschneidenden Ereignis, verbietet es sich von einer Möglichkeit zu reden, wohl aber ein Anlass, der dazu führen sollte, die nun notleidenden Strukturen stärker, robuster und besser, aber auch demokratischer, sozialer freier und gerechter neu zu erschaffen. Keine Flickschusterei, sondern eine konsequente Evolution des bestehenden. Eine zum Besseren. Keine Träumerei von irgendwelchen Ideologien, die bereits in der Vergangenheit scheiterten, sondern eine pragmatische Korrektur der Schwächen zum Wohle der Menschheit.
Genau das könnte mit der Idee des Wertekapitalismus, hinter dem das Modell der Alternativen Hegemonie (AH-Modell)[5] steckt, erreicht werden.
Der Wertekapitalismus: Das Modell der Alternativen Hegemonie (AH-Modell)
Was ist der Wertekapitalismus? Der Wertekapitalismus ist eine Wirtschaftsordnung, in der Werte zu einem Produktionsfaktor werden. Alternativ könnte man auch den Begriff „Wertemarktwirtschaft“ nutzen. Dieser Wertekapitalismus benötigt keinen Nullpunkt, sondern wird, was ihn so pragmatisch macht, ganz einfach dem bestehenden kapitalistischen System aufgesetzt und wirkt als Korrektiv. Man könnte erneut das Bild eines Flusses bemühen, der in seiner natürlichen Form zerstörerisch alles hinfort schwemmen würde, aber durch geschickte Umleitung nutzbar und zum Segen der Menschen wurde. Die Wertemarktwirtschaft verlangt daher keine Abschaffung des Kapitalismus, das wäre auch unrealistisch, da hier mächtige Interessen aufeinandertreffen, sondern leitet dessen Wucht und auch dessen Gier so um, dass daraus Wohlstand und Freiheit für möglichst viele Menschen generiert wird.
Eingeführt wird der Wertekapitalismus mit Hilfe des Modells der Alternativen Hegemonie (AH-Modell). Das ist das Mittel zum Zweck.
Schlüssel Technologie
Der Schlüssel hierfür ist Technologie, genauer gesagt die zentralen Zukunftstechnologien:
· Maschinen für die Landwirtschaft
· Schiffbau und Meerestechnik
· Energieeinsparung und Elektromobilität
· Informations- und Kommunikationstechnologien der neuen Generation
· High-End gesteuerte Werkzeugmaschinensysteme und Robotertechnologie
· Elektrizitätsanlagen
· Anlagen für Luft- und Raumfahrttechnik
· neue Werkstoffe und Materialien
· moderne Anlagen für den Schienenverkehr
· Biomedizin und High-Performance Medizingeräte
Wer diese Technologien beherrscht, dominiert am Ende die Zukunft.[6]
Der AH-Fonds
Damit dieses geschieht, gilt es Markmacht zu erzeugen. Dafür investieren Staaten, die in ihren Ländern Mindeststandards, wie z.B. Meinungsfreiheit, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit garantieren in einen gemeinsamen AH-Fonds. Angedacht sind 2-3% des jeweiligen Bruttoinlandproduktes (BIP). Mit Kapital ausgestattet investiert der Fonds in die Schlüsseltechnologien. Das heißt, er schafft selbst Forschungsstrukturen, kauft auf dem Markt entsprechend zu bzw. auf und kooperiert mit vorhandenen Einrichtungen und Unternehmen. Ziel ist es eine entsprechende Marktmacht aufzubauen, denn der AH-Fonds ist Marktteilnehmer und keine staatliche Einrichtung. Er wird nach der Struktur einer Aktiengesellschaft organisiert. Trotzdem unterliegt der AH-Fonds demokratischer Kontrolle. Seine Tätigkeit soll letztendlich dazu führen, dass die Rechte an zentralen Elementen der Schlüsseltechnologien in der Hand des AH-Fonds liegen. Diese Rechte werden dann als Lizenzen an Unternehmen im Rahmen von Lizenzierungsverträgen vergeben. Im Grunde genommen ein üblicher Vorgang. Der AH-Fonds nimmt dafür Lizenzgebühren ein und erwirtschaftet so mittelfristig Gewinne, die einerseits reinvestiert werden aber auch in die Geberländer zurückfließen können und so den Staatshaushalt stabilisieren. Diese Umlenkung von Gewinnen, ist ein weiterer Nebeneffekt.
Werte als Produktionsfaktor
Das hat allerdings noch nichts mit Werten zu tun. Diese kommen aber dadurch ins Spiel, dass Lizenzen nur vergeben werden, wenn ein Unternehmen sich vertraglich verpflichtet gewisse Mindeststandards (z.B. Mindestlöhne, Arbeitsbedingungen) einzuhalten und die Erfüllung dieser Verpflichtung auch dauerhaft und transparent nachzuweisen. [7] Da die Marktmacht des AH-Fonds sehr stark sein wird, wird es für eine gewinnorientierte Unternehmung schwierig auf relevante Lizenzen zu verzichten. [8] Trotzdem werden die Unternehmen aber keinesfalls zur Kooperation mit dem AH-Fonds gezwungen. Es ist ihre freie Entscheidung, ob sie die Lizenzen in Anspruch nehmen oder nicht. Die wirtschaftliche bzw. ökonomische Vernunft wird sie aber am Ende in vielen Fällen dazu bringen, die entsprechenden Vertragsklauseln zu akzeptieren.
Werte werden damit aber zu einem fundamentalen Element künftiger Produktion. Sie werden so zu einem Produktionsfaktor und das nicht, weil die Wirtschaft von ihnen überzeugt ist, sondern weil deren Einhaltung eine Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteile verspricht. Der Fluss wird damit umgeleitet.
Unternehmen wie Staaten
Was für Unternehmen gilt, soll im Wertekapitalismus auch für Staaten gelten. Den Unternehmen dürfen gewisse Lizenzen nur bestimmten Staaten zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es auch hier, dass neuste Technologien an Mindeststandards bzw. der Entwicklung dorthin geknüpft werden sollen. Das Nichteinhalten könnte daher technologische Rückständigkeit bedeuten. Auch das ist keine neue Erfindung, den Beschränkungen für manche Produkte sind heute Alltag.
Begonnen soll allerdings mit den Unternehmen werden. Eine Ausdehnung auf Staaten ist natürlich erst nach einer Etablierung des Systems sinnvoll.
Wertemarktwirtschaft – das Korrektiv des Kapitalismus
Der Wertekapitalismus könnte daher, das große Korrektiv des bestehenden Systems sein, dass die Kräfte so umleiten, dass daraus Positives erwachsen kann. Er wäre zumindest ein Ansatz, der auf weitaus weniger Widerstand treffen würde als andere Ideen, denn er kennt letztendlich keinen Verlierer. Unternehmen machen weiter Gewinn. Vielleicht sogar mehr als je zuvor, da sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerber aus weniger wertefreundlichen Regionen haben. Staaten erhalten Strukturen und eine erhöhte Finanzkraft. Die Kooperationsbereitschaft erhöht sich und der AH-Fonds wird zu einem Teil der gemeinsamen Identität.
Oft wird an dieser Stelle noch die Frage gestellt, ob der Wertekapitalismus den Menschen selbst erziehen möchte? Nein, das möchte er nicht. Er korrigiert den Kapitalismus und tangiert mit dem Produktionsfaktor Werte primär Unternehmen und Staaten. Der Mensch profitiert aber natürlich indirekt und direkt. Einen Nachteil hat er nicht. Im Gegenteil profitiert er von mehr Freiheit, gesicherten Rechten, besseren Arbeitsbedingungen, einem stabilen Sozialstaat und noch so vieles mehr.
Wertemarktwirtschaft und Covid-19
Am Anfang standen aktuelle Ereignisse und deren Folgen, die bisher kaum absehbar sind. Im Wertekapitalismus würde nicht nur der Produktionsfaktor „Werte“ existieren, sondern ein großer Teil der heute privatisierten Gewinne aus Lizenzierungen landet am Ende in den öffentlichen Kassen, die auf den Katastrophenfall und dessen Folgen – zumindest finanziell – besser vorbereitet wären. Morsche Sozialsysteme wären so ebenso reformierbar wie die Infrastruktur. Das bedeutet nicht, dass dieses unbedingt auf eine kluge Art und Weise geschehen würde, aber die grundsätzlichen Mittel wären vorhanden. Viele Ideen, wie beispielsweise ein früheres Renteneintrittsalter, eine bessere Versorgung, erhöhte Sozialleistungen oder kürzere Wochenarbeitszeiten wären so erstmals finanzierbar, wobei darauf hingewiesen werden soll, dass derartige Ideen nichts mehr mit dem Modell der Alternativen Hegemonie oder dem Wertekapitalismus zu tun haben. Es eröffnen sich lediglich neue Möglichkeiten.
Der Wertekapitalismus wäre daher der bessere Partner für alle Herausforderungen des Zeitenwandels. Doch er existiert bislang noch nicht. Vielleicht wäre es aber an der Zeit, in zu implementieren?
Dieser Beitrag von Andreas Herteux und der Erich von Werner Gesellschaft ist unter DOI 10.5281/zenodo.3743014 beim Speicherdienst der Europäischen Kommission abrufbar. Er wird zudem mehrsprachig in nationalen und internationalen Medien publiziert.
Quellen:
[1] Es soll an dieser Stelle nicht von Toten, die bei der Spanischen Grippe auf über 50 Millionen geschätzt werden, geredet werden, sondern von den Auswirkungen auf den Alltag. Nimmt man die reinen Opferzahlen wären hier beispielsweise auch die Asiatische Grippe (1957/68), die Hongkong-Grippe (1968-70) und andere zu nennen. Auch der HIV-Virus oder die Cholera haben sehr hohe Opferzahlen zu beklagen. Es bleibt zu hoffen, dass Covid-19 nicht einmal im Ansatz an die Anzahl der Toten dieser Pandemien herankommen wird.
[3] Definition: „Unter Verhaltenskapitalismus versteht man eine Spielart des Kapitalismus, in der menschliches Verhalten zum zentralen Faktor für die Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen wird.“
[4] Definition: „Unter einem Homo Stimulus, versteht man eine derartig konditionierte Person, die an eine permanente Konfrontation mit hochfrequentierten, kurzen sowie künstlichen Reizen gewöhnt ist und sich ihnen kaum oder nur teilweise entziehen kann oder will. Im Gegenteil werden bestimmte Reize oft selbst eingefordert oder ein entsprechender Reizdialog angestoßen.“
[6] Mit „Made in China 2025“ hat sich China das fast identische Ziel in besagten Kategorien gesetzt.
[7] Die Werteklausel greifen nur zwischen Lizenznehmer und Lizenzgeber. Nicht bei dem Verkauf eines fertigen Produktes an beispielsweise den Endverbraucher.
[8] Die Lizenzierungen betreffen natürlich auch nicht alle Unternehmen gleichermaßen. Im Gegenteil ist ein großer Teil von ihnen - z.B. Restaurants – scheinbar erst einmal nicht betroffen. Trotzdem gibt es natürlich indirekte Effekte, die auch in diese Bereiche ausstrahlen werden. Man denke nur an Fachkräfte, die natürlich pragmatisch Firmen mit besseren Arbeitsbedingungen vorziehen würden. Oder an das Image.
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